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Einfach und Direkt

Tanz ist Kommunikation. Einfach und direkt. Es gibt keine Kommunikation ohne einen Körper. Selbst wenn wir es versuchen würden, könnten wir ohne unseren Körper nicht sprechen, wir brauchen unsere Stimmbänder, die Bewegungen unseres Atems, die Artikulation unserer Hände und unsere Mimik, um zu kommunizieren. Der Tanz ist die ultimative Form der intuitiven, direkten und lebendigen Kommunikation. Es ist unsere Körpersprache, die einem anderen vermittelt, was wirklich vor sich geht. Man kann jemandem eine ganze Weile beim Sprechen zuhören und möglicherweise seine Sprache verstehen, aber was einem am meisten im Gedächtnis bleibt, ist die Kommunikation, die durch die Körpersprache vermittelt wurde.


Wir leben in einer Kultur, die dem gesprochenen und geschriebenen Wort mehr Bedeutung beimisst als dem körperlichen Ausdruck. Ich glaube, einer der Gründe, warum der Tanz die verlorene Tochter der Kunstwelt ist, liegt in seiner Körperlichkeit, in der Verurteilung von Sinnlichkeit und Sexualität und in der Abwertung des Weiblichen. Körper lassen sich nur schwer in eine Schublade stecken, sie sind schwer zu klassifizieren, zu kategorisieren und zu katalogisieren. Obwohl die kognitive Wissenschaft, die Medizin und die Religion ihr Bestes getan haben, um genau das zu tun, verkörpert der Körper das Unbekannte, das Unkontrollierbare, das Unzähmbare.


Als Menschen, die Tanz praktizieren, haben wir einen Einblick in die subjektive Magie unseres Körpers, den die Wissenschaft einfach nicht beweisen kann. Als TänzerInnen bewegen wir uns, um das Innere unseres Körpers wahrzunehmen, wir haben Zugang zu somatischen Informationen, durch die wir mit frühen Entwicklungsstadien, zellulärem Bewusstsein und unbewusstem Traummaterial in Beziehung treten.


Tanz ist eine Sprache der Intimität, der Intuition und Introspektion. Der Tanz ist eine Sprache des erworbenen Verstehens und dann wieder des Nicht-Kennens, des Enträtselns der Teile des Unbekannten, das vor uns liegt. Es gibt tiefere Prozesse zu formulieren als ein einzelnes Wort, das leicht aus dem Zusammenhang gerissen werden kann. Wir tanzen, weil wir es meinen, und wir tanzen, weil es Sinn ergibt. Habe Geduld mit mir, denn es ist metaphysisch und doch so konkret, kannst du das fühlen?


Bewegungen, die mit der Absicht ausgeführt werden, sich mit einem tieferen Selbst zu verbinden, brauchen oft mehr Zeit, einen klaren Container und sichere Übergangszeit, um wieder ins „Alltagsbewusstsein“ zurück zu gelangen. Sie werden oft, aber nicht immer, mit geschlossenen Augen ausgeführt, haben einen inneren Bezug, der anatomisch, somatisch oder visuell sein kann, sie haben oft, aber nicht immer, diffuse räumliche Muster und oft keine konkrete Form oder Gestalt. Diese Bewegungen haben oft, aber nicht immer, einen emotionalen Inhalt, können archetypische Bilder bei der Bewegenden oder der ZeugIn in der Gegenwart oder aus der Erinnerung hervorrufen, manchmal auch schmerzhaft und traumatisch, manchmal mit erstaunlichen Ressourcen und Einsichten.


„Wenn das Gehirn einen kontinuierlichen, aber abnehmenden Strom von Sinneseindrücken empfängt, kann es beginnen, seine eigene innere Erfahrung durch immer lebhaftere Bilder und manchmal auch durch Verzerrungen des Körperbildes zu erzeugen. Eine solche Navigation durch die nicht-rationale Welt des Unbewussten kann für Menschen, die bereits eine starke Ich-Position entwickelt haben, zutiefst wichtige Einsichten und neue Ebenen der Integration ermöglichen.“


(Joan Chodorow, Somatische Psychologie, Linda Hartley, Whurr Publishers Ltd, S. 57/58)


Wenn wir uns erlauben zu sein, zu ruhen, zu atmen, uns sanft und langsam zu bewegen, tiefer in die verschiedenen Schichten unseres Körpers einzutauchen, wenn wir lernen, zu lieben und anzuerkennen, dass wir viel mehr sind als die 10% unseres Gehirns, die gerade arbeiten, erkennen wir, dass Tanz, Bewegung und Berührung Tore in diese Unterwelt der Information sein können. Eine tiefere Version von uns selbst, die nicht nur mit dem Nervensystem anderer Menschen verbunden ist, sondern auch mit der Schwingung der Erde, mit anderen Tieren, mit Pflanzen, den Elementen, den Sternen und sogar mit dem Kosmos. Das ist natürlich beängstigend, weil wie soll so viel in unser winzig kleines Gehirn passen, aber wie wäre es, wenn wir es als unser Körpergehirn betrachten?


Der Tanz ermöglicht es mir, in die vielen verschiedenen Schichten meines Selbst hinein zu spüren und mich mit meinem Selbst (Selbst mit großem S) zu verbinden oder besser wieder zu verbinden. Er erlaubt mir, mich mit dem Gravitationsfeld der Erde auszurichten und mich von ihm nähren zu lassen. Durch diese Erdung kann ich einen Informationsfluss aus dem Himmel einladen (wenn du Intellekt, Kosmos, Gott, Geist oder Sterne bevorzugst, gib das richtige Wort für dich ein), der mich durch Bewegungsexperimente, Ausdrucksformen und Entscheidungen führt.


Von hier aus kann ich meine eigenen Überlegungen weiter erforschen, ich kann diese Ausrichtung allerdings auch nutzen, um mit einer anderen Person zu kommunizieren, sagen wir mit einer anderen TänzerIn, die ebenso auf die Schwerkraft und den Geist ausgerichtet ist. Wir tauschen uns über informierte Inhalte aus, die Bewegungen ebben und fließen zwischen uns beiden,der Input und Output unserer Botschaften wird ausgetauscht. Eins plus eins ergibt mehr als zwei, und so entsteht etwas Neues, ein neues, miteinander verbundenes Wesen, eine Entwicklung. Das kann sich natürlich auf mehrere TänzerInnen ausweiten.


Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen, dehnen wir unsere Kommunikation auf unsere Umgebung aus, sei es ein Publikum in einem Theater oder eine ZeugIn während einer Authentic Movement Runde oder eine Gruppe von Menschen auf einem Parkplatz, die ihre Einkäufe zu ihrem Auto tragen und uns tanzen sehen, oder ein Vogel in einem Wald, wo wir tanzen und gleichzeitig mit dem Specht und dem Grashüpfer, dem Käfer und der Eichenrinde kommunizieren. Die Ebenen der Kommunikation durch den Tanz sind so komplex, so tief in den Kern unseres Wesens eingedrungen, dass es uns sprachlos macht, weil wir keine Worte mehr brauchen. Auf diese Weise wird das Leben tatsächlich sehr einfach. Einfach und direkt.




(Olga Berdikyan
(Olga Berdikyan

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